Wir entkommen uns nie. Was aber letztendlich versöhnlich stimmt. Es bleibt uns ja am Ende nichts außer uns.
S. 92
Auf einem Biomarkt entdeckt Bergheim merkwürdig unnatürliche Himbeeren. Doch statt dies zu ignorieren, wie es scheinbar alle anderen um ihm herum tun, macht er sich auf, dem Geheimnis der Himbeeren auf die Spur zu gehen. Dabei gelangt er zum Kulinarischen Institut, wo er Charlotte und Ansgar wiedertrifft, seine engen Freunde aus Studienzeiten. Charlotte, Bergheims ehemalige Geliebte, ist nun als Leiterin an der Spitze der Bewegung des Spurenlosen Lebens. Denn die Welt, in der die Handlung spielt, ist eine, in der sich die Menschen den Naturgesetzen unterzuordnen haben. Schließlich kommt Bergheim dem Geheimnis der Himbeeren auf die Spuren.
Die Themen
Der „Zweifel an Sinn und Nutzen des Menschen für die Natur“ (S. 177), der Wunsch, „in den unschuldigen Zustand der absoluten Natürlichkeit zurückzukehren“ (S. 205), und der Zweifel daran, wie ein Spurenloses Leben, das Existieren der Menschen, ohne die Natur in Mitleidenschaft zu ziehen, aussehen kann: Das ist das zentrale Thema des Buchs. Somit haben wir es mit nichts anderem als Kulturkritik zu tun, die in Zeiten von Klimadebatten stark zum Nachdenken anregt.
Der Schreibstil
Wie entscheiden wir uns für ein Buch? Wir schauen auf das Cover und die Gestaltung, wer das Buch geschrieben hat, wir lesen den Titel, den Klappentext – und den ersten Satz. Hier entscheidet sich, ob wir weiterlesen wollen. Es gibt ganz grandiose erste Sätze, und für die Literaturwissenschaft sind Romananfänge von einem solchen Interesse, dass ganze Seminare und Vorlesungen dazu stattfinden. Auch Hysteria fängt mit einem grandiosen ersten Satz an:
Mit den Himbeeren stimmte etwas nicht.
S. 1
Der Erzähler schafft es damit, uns sofort in die Geschichte zu ziehen. Und diese – eine Geschichte über ein Rätsel, ein Abenteuer – ist intensiv, sie packt, verstört bisweilen, und erinnert bereits auf den ersten Seiten an ein paar Größen der Literatur, darunter Kafka und E. T. A. Hoffmann. Letzterer tritt mit seinem Sandmann später sogar als intertextueller Verweis auf. Hysteria hat einen klaren Schreibstil, der nicht kompliziert im Ausdruck ist, aber raffiniert. Einige der Erzählstränge werden nicht komplett aufgelöst und hinterlassen Fragen. Nichtsdestotrotz kann ich Hysteria allen Liebhabern der deutschen Literatur empfehlen sowie denjenigen, die E. T. A. Hoffmann, Kafka und Schauerliteratur schätzen.
Die Leseprobe
gibt es hier: 🔗 Leseprobe Hysteria
Der Autor
Eckhart Nickel wurde 1966 in Frankfurt am Main geboren, studierte Kunstgeschichte und Literatur in Heidelberg & New York und ist Schriftsteller und Journalist. Er gehörte zum popliterarischen Quintett Tristesse Royale (1999) und debütierte 2000 mit dem Erzählband Was ich davon halte. Zusammen mit Christian Kracht leitete er von 2004 bis 2006 die Literaturzeitschrift Der Freund von Kathmandu aus.
Seine Texte erscheinen unter anderem bei der FAS, FAZ und der Wochenendausgabe der SZ, er arbeitete aber auch bereits für das Zeitgeist-Magazin Tempo, ARTE und Architectural Digest. Für Hysteria erhielt er 2017 den Kelag-Preis und einen Platz auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2018. Im Jahr 2019 wurde er mit dem Friedrich-Hölderlin-Förderpreis der Stadt Bad Homburg ausgezeichnet.
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