Aber hier geht es nicht um eine erfundene Geschichte.
Sondern um die Realität.
Buch 2
Tokio, 1984. Die selbstsichere Masami Aomame ist Tochter einer Zeugen-Jehovas-Familie, Trainerin in einem Fitnessstudio – und tötet im Auftrag einer Klientin Männer, als Rache für die Vergewaltigung ihrer Frauen. Auf dem Rückweg von einem Auftrag gelangt Aomame in eine Parallelwelt, die sich besonders in einem Merkmal von ihrer bisherigen Welt unterscheidet: Sie hat zwei Monde, den, den sie bisher kannte, und einen kleineren, grünen. Im Haus ihrer Auftraggeberin erhält sie ihre letzte große Aufgabe. Sie soll den Führer der Sekte der „Vorreiter“ töten, der gut geschützt wird und als sehr mächtig gilt.
Tengo Kawana ist Lehrer und bereitet Schüler auf die Aufnahmeprüfungen der Universitäten vor. In seiner Freizeit schreibt er, wenngleich seine Texte bisher noch nicht veröffentlicht wurden. Für Komatsu – Herausgeber einer Literaturzeitschrift, für den er gelegentlich Jobs übernimmt – überarbeitet Tengo stilistisch den außergewöhnlichen Debütroman der 17-jährigen Fukaeri. Mit der Zeit zeigt sich, dass Die Puppe aus Luft mehr als nur reine Fiktion ist.
Welche Berührungspunkte die beiden Figuren und Handlungsstränge haben, wie Fukaeri zum Inhalt ihres Romans und Aomame zu ihrer Tätigkeit als Auftragsmörderin kam, erfährt der Leser im ersten und zweiten Buch. Im dritten Buch kommt ein weiterer Handlungsstrang um den Privatdetektiv Ushikawa hinzu, der jedoch auch mit den beiden um Aomame und Tengo zusammenhängt.
Die Themen
Das große zentrale und wiederkehrende Thema auf inhaltlicher Ebene ist ein ernstes: Häusliche Gewalt und Missbrauch. Anlass für Aomames Auftragsmorde sind Vergewaltigungen japanischer Frauen, die von den eigenen Ehemännern begangen werden. Dabei wurden Aomame wie auch ihre Auftraggeberin auf die eine oder andere Art selbst Opfer häuslicher Gewalt, wodurch sich die Motivation für die Morde erklären lässt. Den Kern der Aomame-Erzählung bildet die Vergewaltigung eines sehr jungen Mädchens durch Tamotsu Fukada, den Führer der Sekte, der sie angehört, sowie die Planung des Mordes des Sektenführers. Weitere wiederkehrende Themen des Romans sind Religion und Glaube, die in Zusammenhang mit der Handlung um den Sektenführer und Aomame stehen. In der Erzählung werden Gläubige keineswegs in einem guten Licht dargestellt, im Gegenteil: Zumeist steht der Glaube in Verbindung mit Unterdrückung, Extremismus, Gewalt, und wirft Fragen der Moral und Ethik auf. Im alltäglichen Leben der Figuren und der erzählten Welt haben Religion oder auch Spiritualität und Glaube keinen Platz, sie existieren beinahe außerhalb. Zudem werden in 1Q84 Übernatürliches und Verstörendes verknüpft.
So nicht nur in Bezug auf die religiösen Aspekte des Buchs, sondern auch in Bezug auf die Verbindung zwischen Aomame und Tengo. Beide geraten in eine Art verzerrte Realität, in eine Parallelversion des Jahres 1984, die im Laufe der Erzählung 1Q84 genannt wird – das Universum der erzählten Welt wird quasi entzweit. Dabei wird die Erinnerungsfähigkeit der Figuren auf die Probe gestellt, da nur Nuancen der Welt anders sind, etwa veränderte Uniformen und Waffen der lokalen Polizei. Damit thematisiert der Roman Erinnerung als etwas, das zugleich von Wichtigkeit und unzuverlässig ist. Und spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass es sich auch bei diesem Roman Murakamis um einen metafiktionalen handelt. Auch das Auftreten einer Schriftstellerfigur sowie das Hinterfragen des Verhältnisses von Realität und Fiktion sind Marker metafiktionaler Ebenen in der Erzählung.
„Wie würdest du als Schriftsteller Realität definieren?“ „Wenn man mit einer Nadel zusticht und rotes Blut fließt heraus, dann befindet man sich in der Realität“, antwortete Tengo. „Ja, dann muss das hier die reale Welt sein“, sagte Komatsu und rieb sich die Innenseite seiner Unterarme.
Buch 3
Der Schreibstil
Der Roman besteht aus drei Büchern, in denen drei Hauptfiguren auftreten: Aomame, Tengo und Ushikawa. Dabei sind die Handlungsstränge und die drei Teile eng miteinander verwoben. In 1Q84 haben wir es mit einer auktorialen Erzählsituation zu tun, also mit einem allwissenden Erzähler, der die Geschichte anderer Figuren erzählt. Und wie so häufig bei Murakami sind auch in diesem Roman einige intertextuelle Verweise zu finden, der auffälligste ist die Anspielung auf den 1949 erschienenen Roman 1984 von George Orwell. Daneben hat der russische Schriftsteller, Novellist und Dramatiker Anton Pawlowitsch Tschechow (1860-1904) mehrere „Auftritte“ im Roman.
1Q84 war lange auf meinem TBR-Stapel – nicht zuletzt wegen der Länge des Buchs. Doch die Lektüre lohnt sich, schon alleine wegen Murakamis Schreibstil. Wer Lust auf eine Parallelwelt, keine Probleme mit ernsten Themen hat und wissen will, wie die einzelnen Erzählstränge um Aomame, Tengo und Ushikawa zusammenhängen, sollte sich nicht vom Umfang des Buchs einschüchtern lassen.
Die Leseprobe
gibt es hier: 🔗 Leseprobe von 1Q84
Das Hörbuch
gibt es unter anderem auf Spotify:
Der Autor
Informationen zu Haruki Murakami gibt es in meinem Beitrag zu seinem Roman Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt.
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