Can Fiction Lie? Ausschließlich Personen können lügen. Texte können zwar Lügen enthalten, aber selbst nicht lügen. In einem Prosawerk kann ein Autor als fiktive Person lügen, dieser Autor kann jedoch nicht mit dem Autor des Prosawerks gleichgesetzt werden. Fiktive Personen können nur fiktiv in Prosawerken lügen, denn fiktive Lügen sind nicht dasselbe wie realen Lügen: So wie fiktive Personen keine realen Personen sind, sind auch fiktive Lügen keine realen Lügen. Insofern erweist sich als wahr, dass „Novels cannot lie or contain lies“ (S. 263).
Deceptions, Lies, and Forgeries: Damit ein Objekt täuschen (deceive) kann, muss keine Intention dazu vorhanden sein. Aber: Nur Personen, die intendieren zu lügen, können lügen; die Täuschung ist keine notwendige Intention. Eine Person, die lügt, muss beabsichtigen zu lügen. Um forgery handelt es sich, wenn die Intention zum täuschen vorliegt. Trotz der Ähnlichkeit zu Lügen ist forgery abzugrenzen und nicht als Unterkategorie von Lügen zu betrachten. Beispielsweise können wissenschaftliche Veröffentlichungen Lügen enthalten, typische Fälle von forgery in der Wissenschaft liegen vor, wenn (1) Texte als von einem bestimmten Autor geschrieben präsentiert werden, es aber nicht sind, (2) Texte Kopien anderer Texte sind, aber als eigener Text präsentiert werden, (3) Texte faked claims enthalten. Der dritte Fall basiert auf Lügen, bei den ersten beiden Fällen verhält es sich anders, denn von forgery ist ein von Lügen unabhängiges Phänomen. Ein Prosawerk hingegen kann unglaubwürdig oder widersprüchlich sein, aber weder wahr noch falsch sein.
Lies and Plagiarism: Steinbrenner unterscheidet zwei Arten der forgery of novels: (1) plagiarism: Personen präsentieren das Werk einer anderen Person als ihr eigenes, (2) forgery: Personen täuschen vor, dass ihr eigenes Werk das einer anderen Person ist. Es ist zu fragen, ob es sich hierbei um Lügen handelt.
Novels, Duplications, and Copies. 4.1 What is a Novel? Romane sind von Autoren produzierte Texte, die Autoren behaupten jedoch nicht, dass der Text wahr sei. 4.2 What is a Text? Einer weitverbreiteten Auffassung nach kann der Text definiert werden als „an abstract sequence that means a linear concatenation of atomic signs, such as letters, numerals, sentential signs, and blanks“ (S. 265f.). Bei der Frage nach dem Produzenten und der Produktion literarischer Texte als abstract entities gibt es zwei mögliche Antworten: (A) Ein Autor entdeckt einen Roman wie ein Mathematiker einen Beweis entdeckt. (B) Ein Autor erschafft einen Roman wie es auch ein Programmierer mit Computerprogrammen macht. Steinbrenner grenzt sich von der platonischen Meinung bzw. der pure-textual position ab, es gäbe keine wirkliche Schaffung von Ideen, sondern nur die Entdeckung desjenigen, was bereits da war. Die author-textual position definiert Prosa als „texts which possess certain features, and every token of that text, that is, an identical string of signs in the same language, is a realisation of the same language“ (S. 266), produziert von einem Autor. Der textual intentional position zufolge ist Prosa die Realisierung eines Texts zuzüglich einer gewissen, die Interpretationen festlegende, Intention des Autors. Der pure-interpretational position zufolge sind Prosawerke lediglich Interpretationen, der textual-interpretational position zufolge sind sie „texts plus interpretations“ (S. 267).
The Example of Menard: In Jorge L. Borges‘ Pierre Menard schreibt der gleichnamige Titelheld, ein symbolistischer Dichter am Ende des 19. Jahrhunderts, einen Text, der identisch ist mit Cervantes‘ Don Quixote. Im Gegensatz zu Cervantes lag Menards Bestreben im Schreiben eines archaic text. Für Borges und Arthur Danto (interpretational position) handelt es sich um zwei verschiedene Texte, da ihre stilistischen Merkmale verschieden sind. Die critics of the author-textual position unterstützen diese Sicht, denn „different interpretations are the works“ (S. 268), das heißt also, jede Interpretation ist ein eigenes Kunstwerk. Repräsentativ für die author-textualist view vertritt Goodman die Ansicht, dass Menards Text höchstens eine neue Interpretation ist, jedoch kein Kunstwerk. Die These ist, dass die „intention of the artist is limited by the reference of the artwork“ (S. 268), schließlich ist das Verständnis eines Werks unabhängig von der Intention des Autors. Derselbe Text ist nach Goodman dasselbe Werk. Multiple Autorenschaft definiert er als Werk, das von mehreren Autoren unabhängig voneinander verfasst ist (bspw. Entdeckung des AIDS-Virus von Robert Gallo und Luc Montagnier). Gemeinsame Autorenschaft nennt er Werke, die in Zusammenarbeit von mehreren Autoren entstehen.
Texts and Titles: Für Steinbrenner ist die Titelseite Teil des Prosawerks, nicht des Texts, denn ohne sie bleibt oft offen, wovon das Werk handelt. Indem die Titelseite die Gattungszugehörigkeit, bspw. novel oder factual report, markiert, hilft sie dem Leser, das Werk in der richtigen Weise zu nutzen und der Prosa, ihren Zweck zu erfüllen, ist also der Schlüssel zum Werk. Daneben gibt sie Auskunft über den Autor des Werks. Steht auf der Titelseite ein Name geschrieben, der nicht dem Namen des Autors entspricht, handelt es sich um Betrug (fraud). Der Titel ist oft semantischer oder syntaktischer Bestandteil eines Texts, besonders deutlich nachvollziehbar bei Gedichten. Steinbrenner definiert novels als „utterances and part of these utterances is the claim of the author that he is related in a certain artistic and legal way to the utterance in the question. […] But novels can also function as lies because of the role the title page plays.“ (S. 276) Demnach sind die beiden Don Quixote-Texte von Cervantes und Menard Einzelwerke.7. Author and Text: Das Konzept des Autors ist abhängig von der artistic background theory. Steinbrenners artistic metatheory zufolge muss eine künstlerische Äußerung oder Handlung in künstlerischem Sinne neu sein, um als Kunstwerk bezeichnet werden zu können. In diesem Sinne ist eine Kopie kein Kunstwerk, außer es handelt sich um Appropriation Art. Zusammenfassend kommt Steinbrenner auf seine Ausgangsfrage zurück und hält fest: Erzählliteratur kann nicht lügen. In weitestem Sinne ist eine Lüge Teil von fiction, zum Beispiel als Teil eines Prosawerks.
In seinem Aufsatz konzentriert sich Steinbrenner auf die Frage danach, ob Literatur lügen kann. Seine anfängliche These, Literatur wäre dazu nicht imstande, bestätigt er zusammenfassend noch einmal. Dabei unterscheidet er strikt und ausführlich, welche Lügen in und um Literatur vorkommen können. Darüber hinaus – und dieser Aspekt ist äußerst spannend für die Arbeit an Erzählliteratur – bezieht er der Lüge nahe Phänomene ein.
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