Das Anliegen von Webbers Arbeit liegt in einer „case-history of subjectivity in German writing in and around the nineteenth century“ (S. 1). Mittels literarischer Fallstudien untersucht er die Idee des transzendentalen Subjekts, der Doppelgänger spielt hierbei eine Rolle für die „reliability of subjective identity“ (S. 1). Anhand der Figur des Doppelgängers wird die menschliche Gespaltenheit zwischen Realität und Fantasie (bei E. T. A. Hoffmann: chronischer Dualismus) verdeutlicht.
The Doppelgänger in Practice: Der Doppelgänger wird bei Webber vorläufig in deiner Arbeitsdefinition beschrieben. Für diese vorläufige Definition setzt er neun Prämissen: (1) Double Visions: Der Doppelgänger ist vor allem eine figure of visual compulsion (S. 3), das Subjekt beholds its other self as another bzw. is beheld as object by its other self (S. 3); (2) Double-talk: Der Doppelgänger operiert gleichfalls auf der Ebene der Sprache, wenn er die subjektive Fähigkeit der freien Sprache unter anderem parodiert; (3) Performance: Der Doppelgänger repräsentiert den performativen Charakter des Subjekts (is an inveterate performer of identity, S. 3); (4) Double-bind: Ideen von Identität verbinden sich in körperlichem und geistigem Wissen, der Doppelgänger führt Voyeurismus und sexuelle Anspielungen in das Selbstbild des Subjekts ein; (5) Alter ego: Der Doppelgänger ist ausgezeichnet durch das Machtspiel zwischen ego und alter ego, repräsentiert in Wissen und Sexualität; (6) Figure of displacement: Der Doppelgänger appears out of place (S. 4), um das Subjekt zu ersetzen; (7) Return and repetition: Die zwingende Rückkehr des Doppelgängers intertextuell, und im Ursprungstext ist ein Strukturmerkmal der Texte und kann im Freudschen Sinn gelesen werden als ‚unheimlich‘; (8) Gender: Der Doppelgänger ist grundsätzlich männlich, gedoppelte weibliche Figuren sind die objectification of a polarized male subject (S. 4); (9) Product of a broken home: Der Doppelgänger repräsentiert die Störung der Familienharmonie und stellt so die Familie als Ort des Unheimlichen aus. Die Figur des Doppelgängers, die sich eindeutig vom klassischen Helden in Prosa oder Drama unterscheidet, ist für Webber der Musterfall für Subjektivität in der deutschen Literatur seit der Romantik. Das Subjekt wird durch die Doppelgängerfigur als relativ dargestellt, indem seine Autonomie an seine Grenzen gebracht wird. Der Doppelgänger ist stets zugleich zweierlei: Er ist als Objekt konstruiert nicht nur von, sondern immer auch für einen anderen, er dient und beherrscht zugleich sein host subject, er ist gleichzeitig permissive und prohibitive, gespalten in person und persona. Der als archetypisch unheimlich zu bezeichnende Doppelgänger dient als Musterfall für den dialektisch-komplizierten Konflikt zwischen realism und fantasy, denn als Duplikat des Realen ist er Phantasma. Der Doppelgänger ist zugleich historisch/epochenspezifisch und anti-historisch/unvergänglich. Der Doppelgänger von E.T.A. Hoffmann als ‚ironischer Doppeltgänger‘ ist eine „key figure of that ironic sense of absence“ und „essentially a post-Romantic figure“ (S. 11).
A Bit of the Other: Sexing the Doppelgänger: Der Doppelgänger ist stets mit Sexualität und Aggression verbunden und das hochproblematische ‚Andere‘ von subjektivem Begehren und Identität. Er ist fast immer Junggeselle und „weirdly, sexless“ (S. 12). So präsentiert der Doppelgänger in Heinrich Heines (1797-1856) Buch der Lieder (1827) beispielsweise „a pantomime of the scenario of sexual dispossession“ (S. 14); bei ihm stehen double-talk und double vision als Strategien im Vordergrund. Generell ist der Doppelgänger axiomatisch männlichen Geschlechts, womit das wird Weibliche als das Andere definiert wird. Dabei wird der Doppelgänger zu einem Stück dieses Anderen, wodurch dialektisch die binäre Konstruktion von Heterosexualität durchbrochen wird. Das Schema der Dyade wird aufgehoben durch die Triade des Begehrens zwischen host, double und a female third party. Treten weibliche Doppelgänger auf, so geschieht dies lediglich im Dienste männlicher Fantasien vom Anderen und in Beziehung zu den Polen madonna (sexless) und whore (over-sexed).
The Doppelgänger in Theory: Im Falle des Doppelgängers verhält es sich so, „theory recurrently doubles as fiction and vice versa“ (S. 23). Die Philosophie des Idealismus setzt sich vornehmlich mit dem Problem von Subjektivität auseinander. Bei Friedrich Schlegel, Jean Paul und Heinrich von Kleist wird auf literarischer Ebene gedoppelt und reflektiert, was theoretisch erarbeitet wurde. Theoretisch setzen sie sich alle mit visual problems auseinander, Kleist vornehmlich mit der Kantschen double vision. Optical crisis und crisis in language sind dabei untrennbar verbunden und „marked by the double-talk“ (S. 26). Für Fichte ist die dialektische Konstitution of selfhood besonders relevant: „Self and other are seen as dialectically inter-determinate“ (S. 29), unterschieden werden Ich und Nicht-Ich, die ihre Bedeutung vom jeweils anderen erhalten. Die Psyche beschreibt er als „Gespenst an sich“ (S. 31). Auch Jean Paul verfolgt die Idee absoluter Subjektivität und erkennt das Ich als dialektisch gespalten. Gotthilf Heinrich von Schubert (1780-1860) beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Magnetismus und self/other als psycho-somatic entities. Während der Doppelgänger in der Literatur verdrängt wird von anderen Konzepten, bleibt er weiter Gegenstand theoretischer Auseinandersetzung.
The Strange Case of Dr Rank and Herr Rosenfeld: Otto Rank erweist sich selbst als Person mit Doppelleben: Als jüdischer Österreicher Otto Rosenfeld geboren, entwickeln sich bald Probleme mit dem Vater und ein ausgeprägter Ödipus-Komplex. Seine Psychoanalyse wendet er bald weniger auf die Psyche an, sondern legt seinen Fokus auf Kultur. Ästhetische Kreativität definiert er als sublimierte Form narzisstischer Investition, ästhetische Handlung als „potentially […] aspects of the Doppelgänger“ (S. 39). Der Begriff ‚Entstellung‘, „a key example of psychoanalytic double-talk“ (S. 41), wird in der Psychoanalyse zu einem Hauptaspekt in Doppelgänger-Geschichten. Als Strukturprinzip in der Doppelgänger-Literatur findet sich Textentstellung.
Dr Rank’s Case-book: In seiner Untersuchung Der Doppelgänger (1914) beschäftigt sich Rank mit Formen der Präsentierbarkeit und stellt „the displacement of the erotic“ (S. 42) dar, indem er die in der Urgeschichte verschütteten triebhaften Faktoren darlegt, und stellt die These auf, dass die Doppelung des Charakters und die Doppelung der narrativen Struktur zusammenhängen. Todorov argumentiert, Ranks theoretischer Ansatz of the double hebe sich mit seinem literarischen Potenzial auf und dass der Doppelgänger zu Beginn des Jahrhunderts lediglich wieder auftauche, um dann endgültig zu verschwinden. Friedrich Kittler unterstützt diese These, sieht allerdings eine Art Weiterführung in den Filmtricks der Kinoleinwand. Rank beginnt seine Untersuchung damit, das Motiv des Doppelgängers „in myth and modern literature“ (S. 42) parallel zu lesen und bezieht sich zuerst auf den dem Mythos näher als die Literatur stehenden Film Der Student von Prag (1913) von Hanns Heinz Ewers. Wie auch Literatur zum Doppelgänger, „the Student von Prag is a tale of flight of shadows“ (S. 43). Als „master of the uncanny tale“ (S. 45) steht weiter E. T. A. Hoffmann im Vordergrund, wie auch in Freuds Das Unheimliche. Für beide Psychoanalytiker verkörpert der Doppelgänger die Dialektik von „the drives of narcisstic self-preservation and of mortal aggression“ (S. 48). Für Rank ist der Doppelgänger gleichzeitig symptomatisch für narzisstisch gestörte Autoren. Letztlich kommt er zurück auf seine These der Rückkehr des Unterdrückten durch die Mechanismen der Verdrängung, in der Doppelgänger-Geschichte verdeutlicht durch präventiven Suizid. Für Jacques Lacan verkörpert der Doppelgänger sein dialektisches Modell of desire – das ego kann nur im alter ego realisiert werden. Lacan unterstützt die Idee „of the double as psychic reality“ (S. 54). Abschließend hält Webber fest: Der Doppelgänger „will emerge here as a key constituent of literary constructions of selfhood throughout the period under survey“ (S. 55).
Webber arbeitet in seiner Fallstudie äußerst präzise. Er versäumt es nicht, sich mittels Voraussetzungen an seiner Argumentation hochzuarbeiten, um dann auf einer gut gelegten Grundlage theoretische und literarische Auseinandersetzungen mit der Figur des Doppelgängers unter Augenschein vorzunehmen. Mithilfe des Einbezugs theoretischer Auseinandersetzungen legt er den Einfluss des Doppelgänger-Konzepts auf die (vor allem) deutsche Literatur dar.
Kommentare